58 Jahre 

sind seit dieser letzten Aufzeichnung des Herrn Alois Nickmann Oberlehrer in Reigersdorf vergangen. Ich (H.H.) will nun versuchen die Ereignisse nach 1939 soweit es mir möglich ist zu schildern. Weil ich glaube dass manch ein Nachkomme der Vertriebenen aus unserem Dorf wissen möchte, wo und wie seine Vorfahren gelebt haben.

     Der Chronist schilderte 1938 wie glücklich die Bewohner des Sudetenlandes waren als sie von den Schikanen und Demütigungen seitens der tschechischen Machthaber befreit wurden. Die Freude währte , zumindest für den nüchternen Betrachter, nicht lange. Denn so wie der Schreiber vor 1938 um Repressalien zu vermeiden nur lobend über Staat und Regierung schreiben durfte, so musste er jetzt jede Kritik an der neuen Obrigkeit vermeiden. Wir waren in einer Diktatur gelandet, welche jede unliebsame Äußerung bestrafte. 
     Aber das neue System hatte auch seine guten Seiten. Waren doch vorher viele arbeitslos so verstanden es die neuen Machthaber binnen kürzester Zeit Arbeit und guten Verdienst für alle zu schaffen. Deshalb war auch anfangs die Begeisterung für das neue System groß. 
     Doch immer deutlicher wurden die wahren Absichten dieser Regierung. Jede Opposition wurde schon im Keim erstickt. Nur eine kritische Meinung, etwas unvorsichtig geäußert genügte oft, um in einem Konzentrationslager (KZ) zu landen. Es war z.B. streng verboten ausländische Sender (Feindsender) im Radio zu hören. So ein "Verbrechen" wurde manchmal sogar mit dem Tod bestraft. (z.B. Freisler München) als besonders grausamer Fall. : 
    . Schon in den Schulen wurde den Kindern ein Hass auf die Juden und allen Menschen welche dem Regime kritisch gegenüberstanden, den sogenannten "Staatsfeinden" eingeprägt .Unsere Lehrkräfte waren aber nur besorgt den Kindern eine möglichst gute Allgemeinbildung beizubringen und verhielten sich politisch soweit wie möglich neutral. Besonders bekämpft wurden auch die Kirchen. Man versuchte schon die Kinder vom Religionsunterricht fern zu halten indem man eine eigene schriftliche Willenserklärung der Eltern verlangte.
     Es wurden auch sämtliche Vereine aufgelöst, und nur nationalsozialistische Vereinigungen geduldet. So entstand für die männliche Jugend die DJ (10-14 Jahre), die HJ (Hitler-Jugend 14-18 Jahre). Für die weibliche Jugend die BDM (Bund deutscher Mädel). Dann wären noch NSKK (Kraftfahrer-Korps), das NSFK (Flieger-Korps) und ähnliche Gruppen zu nennen. 
     Schon ein Jahr nachdem unser Land an das deutsche Reich angegliedert war, brach der Krieg aus. Die ersten Männer wurden zu den Waffen gerufen. Schon bald erhielten die ersten Frauen die traurige Nachricht vom Tode ihrer Männer. Hatte man doch auf ein schnelles Ende des Krieges gehofft. Doch der Diktator in seinem Machtrausch zwang immer mehr Völker in den Krieg. Alle Jahre kamen mehr Hiobsbotschaften ins Dorf. Immer mehr Mütter verloren ihre Söhne, immer mehr Frauen ihre Männer immer mehr Geschwister ihren Bruder. Bis Kriegsende verloren fast die Hälfte der eingezogenen Männer ihr Leben. Für die Ehefrauen und Mädchen welche die Männer in Hof und Stall sowie auf den Feldern ersetzen mussten, es waren ja meistens Landwirte, war dies eine schwere Zeit. Es wurden zwar Zwangsarbeiter aus Polen und Russland zur Verfügung gestellt doch die Hauptlast mussten die Frauen tragen.
     Deutschland hatte ein modernes Heer aufgebaut. Polen wurde in 18 Tagen besiegt. Die Begeisterung war groß. Auch Frankreich wurde erobert. Die deutschen Truppen waren an allen Fronten siegreich. Sie standen im Norden bei Narvik, im Osten vor Moskau, im Süden in Nordafrika, im Westen in Frankreich. Doch die Übermacht war riesengroß. Nach Jahren der Siege, auch England und Amerika hatten uns den Krieg erklärt, wendete sich das Blatt. Die deutsche Armee musste an allen Fronten den Rückzug antreten. Am 9.Mai 1945 kapitulierte Deutschland. Insgesamt mussten 40 Männer einrücken. Es waren dies:

Benischke Berthold
Hartel Erwin
Larisch Lothar
Roßmanith Josef
Beier Rudolf
Hartel Franz
Langer Rudolf
Roßmanith Otto
Beier Otto
Hartel Leopold

Mader Hans
Roßmanith Robert
Blaschke Arthur
Heinz Richard
Morbitzer Erwin
Schramm Hans
Gebauer Ewald
Heinz Rudolf
Morbitzer Otto
Theimer Erich

Hampel Wilhelm
Hickel Josef
Nickmann Alois
Theimer Franz 
Hampel Gerhard
Jeckel Anton
Polzer Franz
Tost Adolf 
Hampel Ewald
Kolb Josef 

Polzer Karl
Welzig Josef 
Hansel Franz
Kolb Rudolf
Polzer Leonhard
Zipper Rudolf
Hansel Hans
Larisch Hans
Polzer Lothar
Zipper Gustav

Doch dieser sinnlose Krieg forderte von unserer Gemeinde einen hohen Blutzoll. Fast die Hälfte der oben genannten Männer kehrten nicht mehr zurück. Es waren dies:

Blaschke Arthur gef. in Norwegen
Hampel Gerhard gef. 14.8.44 in Frankreich
Hampel Wilhelm verm. 03.06.43 Russland
Hansel Franz verm. 1940 (?) Russland
Hansel Hans gef. 1942 in Russland
Hartel Leopold 1945 verm. in Polen
Heinz Rudolf 11.09.40 verm. Steiermark(?)
Jeckel Anton 12.10.41.gef. Russland
Langer Rudolf 1945 am Klöppel ersch.

Larisch Lothar 1944 verm. im Osten
Morbitzer Erwin Nov. 1941 gef. Russland
Polzer Franz 16.09.43 gef. Russland
Polzer Karl 01.08.44 Norwegen
Polzer Leonhard 19..03.44 gef. Russland
Roßmanith Josef 1943 verm.
Russland
Schramm Hans Febr. 1945 verm. Ungarn
Theimer Erich 1945 verm. Polen
Zipper Gustav 08.05.1942 gef. Russland

     Immer näher kam die Front. Schon Anfang 1945 hörten wir täglich Kanonendonner. Unser derzeitiger Schulleiter war Herr Arthur Siebert, ein Lehrer aus Berlin, der mit Berliner Kindern wegen der massiven Luftangriffe in unsere Gegend kann. Er führte auch die Schulchronik gewissenhaft weiter und schilderte treffend die letzte Zeit in Reigersdorf. Deshalb möchte ich den letzten Teil seiner Aufzeichnungen wörtlich wiedergeben:

    „ Mit Beginn des Jahres 1945 machte sich der Krieg auch in unserem Gebiet immer mehr bemerkbar. Schon im letzten Teil des vorigen Jahres war vom Führer der Volkssturm aufgerufen worden, dem alle Männer von den jüngsten bis zu den alten Jahrgängen angehörten. Sie wurden in Zivilkleidung neben ihrem Beruf, meist an den Sonntagen ausgebildet, um gegebenenfalls an der Front, bzw. in der Heimat zur Verteidigung eingesetzt zu werden. Als dann zu Beginn des neuen Jahres die Russen unerwartet schnell in Ostpreußen einbrachen und über Polen bis nach Schlesien vordrangen, mußte auch unser Gebiet und unser Ort kriegsmäßig umgestaltet werden. Überall wurden in unserem Kreis in Stadt und Dorf, auch in unserem Ort,unsinnige Panzersperren gebaut, und auf den großen Feldern an der Reichsstraße nach Bärn wurden tiefe und breite Panzergräben von den Einwohnern der umliegenden Orte in täglichem Schanzdienst errichtet. Zum Schutze des Ortes musste für jede Nacht ein Nachtdienst eingerichtet werden. Feindliche Flieger überflogen oft unser Gebiet. Unterwegs war man in Gefahr, von ihnen mit Bordwaffen beschossen zu werden. Wegen der Luftgefahr mußte auch unsere Schule luftschutzmäßig eingerichtet werden. Zum "Selbstschutz" stehend, sollte sie sich im Fall eines Fliegerangriffes selbst schützen. 
     Die Fenster wurden, wenn der Schulraum bei Dunkelheit benutzt wurde, verdunkelt. Große Sandtüten standen stets bereit, um Brandbomben sofort unschädlich machen zu können. Eine Reihe von größeren Schulkindern war als Feuerlöschkräfte eingesetzt, während größere Mädchen als "Laienhelferinnen" für den Sanitätsdienst angestellt wurden. Da für die Dörfer bei Feindeinflügen vorher kein Alarm durch Sirenen gegeben werden konnte, und die Flieger uns deshalb immer überraschten, so mussten die Schulkinder, wenn die Flieger während des Unterrichtes kamen, in der Klasse bleiben; denn ein Luftschutzkeller war nicht vorhanden. Nach Hause durften sie wegen der Gefahr auf der Straße nicht geschickt werden. Die Feuerlöschkräfte und Laienhelferinnen mussten in dieser Zeit auf dem (Dach)Boden und in der Klasse ihren Dienst tun. - Für den Fall, dass die Russen bis in unsere Gegend vordringen würden, wurde bestimmt und vorbereitet, daß dann sämtliche Frauen und Kinder unseres Ortes genau so wie in den anderen Orten in großen Wagen, die alles Notwendige, was man mitnehmen wollte, enthielte, unseren Ort verlassen müssten, um an einem anderen Ort untergebracht zu werden. Die Männer vom Volkssturm sollten dann hierbleiben um im Verein mit der Wehrmacht die Heimat zu verteidigen. Wir alle hofften daß dies nicht geschehen müsste, hatten wir doch schon genug solcher traurigen Bilder gesehen. Von den Orten Oberschlesiens, aus den Kreisen Leobschütz, Jägerndorf und Troppau, in die die Russen eingedrungen waren, wälzten sich endlose Wagenkolonnen die Reichsstraße nach Hof-Bärn entlang mit abgehärmten und vergrämten Frauen und Kindern, die wie ihre Pferde kaum noch weiter konnten und sich nach Unterkunft sehnten. Hof und die umliegenden Orte, auch Reigersdorf, hatten da öfter Einquartierung von solchen armen Volksgenossen, die meist schon am nächsten Tag ihren Weg weiter nach Sternberg zogen. Auch Soldaten waren öfter hier einquartiert. Manchmal wussten die Bauern nicht, wo sie die große Zahl der Flüchtlinge unterbringen sollten.-      Inzwischen waren die Russen im Osten. und die Anglo-Amerikaner im Westen.. nach Berlin zu weiter vorgedrungen. Überall in Deutschland standen unsere Truppen und Volksgenossen in schweren Kämpfen. Städte, wie Leipzig, Nürnberg, Magdeburg, Bremen, Chemnitz und Breslau wurden umkämpft. Schließlich zog sich der Ring auch um Berlin zusammen. Heldenhaft ehrte sich die Reichshauptstadt. Der Führer selbst übernahm hier den Oberbefehl. Über den weiteren Verlauf dieser Kämpfe kann bis jetzt noch nichts gesagt werden, da die Meldungen spärlich sind. Am 2. 5. wurde amtlich gemeldet, daß der Führer im Kampf um die Reichshauptstadt verschieden und Großadmiral Dönitz an die Spitze der Regierung berufen worden sei. Weiteres kann im Wirrwarr der jetzigen Gerüchte und Meldungen nicht gesagt werden.- Nachdem die Russen in Wien eingedrungen waren, zogen sie über Brünn weiter und stehen augenblicklich in der Nähe von Olmütz. Von Mährisch Ostrau und Troppau dringen andere Truppen nach Wigstadtl vor. So steht unsere Heimat jetzt in unmittelbarer Gefahr, überfüllt von Flüchtlingen und Soldaten. Wir wollen aber den Mut nicht sinken lassen, tun, was jetzt das Wichtigste und Notwendigste ist und hoffen, dass noch nicht alles verloren ist und uns in absehbarer Zeit ein guter Friede beschieden ist.
          Reigersdorf den 4. 5. 1945 
          Arthur Siebert, Lehrer und Schulleiter“.
     Herr Siebert war aus Berlin zuerst nach Ostpreußen mit seiner Schulklasse wegen der massiven Luftangriffe ausgewichen. Später als auch Ostpreußen bedroht war kam er mit den Berliner Kindern in den Kreis Bärn. Da Frau Länger beurlaubt war, wurde ihm die Leitung der hiesigen Schule übertragen. Er führte die Schulchronik gewissenhaft weiter bis er kurz vor dem Erscheinen der ersten Russen nach Berlin zurückkehrte.


     Mit dem Tag der Kapitulation begann für Deutschland und ganz besonders für die Sudetendeutschen eine schwere, mit viel Leid verbundene Zeit.
     Am Sonntag den 09. Mai erschienen die ersten Russen auch in Reigersdorf. In den Nachbarortschaften hat es überall einige Tote gegeben. Sie wurden von den Russen erschossen. Wir hatten Glück. :

Das letzte Jahr in Reigersdorf  1945 - 46

     In der Mitte des Jahres 1944 mehrten sich di Anzeichen für das Ende des Krieges. Aus dem Osten rückt die Front immer näher. Ich war ab 1944 in Söhle bei Neutitschein in der Haushaltungsschule. Schon im November und Dezember 1944 kamen Flüchtlinge aus dem schlesischen und oberschlesischen Raum. Niemand will wahrhaben, dass es dem Ende zugeht. Denn mit dem verlorenen Krieg steht das Schreckgespenst der russischen Besatzung im Raume. Ende Januar 1945 der erste Fliegeralarm in Neutitschein. Alles ist verschreckt und verstört. Schülerinnen reisen ab. Nach einigen Tagen stimmen wir ab. Auf allen lastet ein schwerer Druck, man weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Man kann nur ahnen, dass Schreckliches auf uns zukommt. Anfang März fahre ich zurück nach Söhle. Es kommen nur noch 10 Schülerinnen. Wir bleiben noch über Ostern, machen die letzten Prüfungsarbeiten. Eine Lehrerin mit Kind ist bereits abgereist, wir sind nur noch mit der Direktorin Frau Köstler allein im Haus. Die Front rückt näher, bei Mährisch-Ostrau wird bereits gekämpft. In Reigersdorf sind bereits ganze Trecks mit Flüchtlingen angekommen. Sie stammen aus Hedwigsgrund im oberschlesischen Gebiet.Es wird das Nebenstüberl geräumt und eine Familie mit zwei Kleinkindern und den Großeltern ziehen ein. Sie sind mit einem Kuhgespann angekommen. Der April geht zu Ende. Die Russen rücken weiter vor. In den ersten Maitagen hören wir öfters den Kanonendonner aus Richtung Troppau, wo sich bereits die Front befindet. Die Russen können noch einmal zurückgeworfen werden, aber das Ende zeichnet sich ab. Das Kuhländchen wird überrollt. Täglich fahren Wehrmachtsautos durch das Dorf, sie sind auf dem Rückmarsch. Manchmal bleiben sie über Nacht, oder essen sich nur voll und weiter geht die Fahrt. Die Soldaten erzählen, dass sie keine Munition mehr haben, aber der Wille zum Widerstand ist noch lebendig. Vater hat auch für uns einen Leiterwagen für die evtl. Flucht vorbereitet. Das Dorf wird noch für einen Treck eingeteilt. Familien ohne Gespann werden den einzelnen Bauern zugeteilt. Die Koffer stehen gepackt. Keiner kann es sich vorstellen, dass wir wirklich wegfahren müssen und alles im Stich lassen sollen. Es ist ein unwirkliches Gefühl, richtig erfassen kann keiner diese Ausnahmesituation Feldküche bedienten, packen ein und fahren weg in Richtung Altvater. Dieser Weg über den Berggeist ist der einzige Ausweg aus dem Kessel. Die Russen kamen nicht direkt aus Richtung Troppau, sondern waren abgebogen und kamen nun auch aus südöstlicher Richtung. Den ganzen Abend und die ganze Nacht zogen nun die Trecks durch unser Dorf in Richtung Lobnig. In dieser Nacht zogen auch die Gundersdorfer durch, manche mit Kuhgespann. Die schmalen Straßen waren bald verstopft. Wir haben dreimal den Wagen auf- und abgeladen, Vater konnte sich nicht zum Losfahren entscheiden. Er sagte: "Wenn ich an den Lobniger Wald denke, und dass dann auch noch die Hofer, die Christdorfer und Rautenberger kommen, kann ich mir nicht vorstellen , dass das gut ausgeht." Einige Bauern kamen und fragten was sie machen sollen. Vater sagte: "Ich bleibe da, wenn es uns treffen soll, dann lieber daheim, als im Straßengraben." Die anderen schlossen sich dieser Meinung an, und so blieb das ganze Dorf daheim. Später sollte sich herausstellen, dass es die einzige richtige Entscheidung war. Die Russen haben uns später erzählt, dass wir das erste Dorf waren aus dem niemand mehr geflüchtet war. Gegen Abend kam noch ein Wehrmachtsauto durch das Dorf. Sie hatten einen toten Soldaten dabei den sie noch auf dem Friedhof begruben. Geschlafen haben wir in dieser Nacht nicht. Samstagmorgen herrschte völlige Ruhe. Die Stille wirkte unheimlich. Niemand traute sich aus dem Haus. Ein Hund bellte nur in Krumpholzens Wäldchen. Wir hatten ein Gefühl, als ob ein schwerer Sturm vorüber wäre. Wir hatten keine Ahnung wie die Lage war. Unser Flüchtling brauchte Brot und so fuhr er nach Christdorf zum Bäcker. Er kam zurück mit der Kunde, das Dorf ist völlig leer, das Vieh steht in den Wiesen. Gegen Mittag fährt ein Motorrad mit zwei Russen durch das Dorf. Am oberen Ende des Dorfes hat jemand auf einem Straßenbaum eine weiße Fahne gehisst. (Es war dies Fr. I. Hampel). Ein Aufklärungsflugzeug dreht wieder ab. Am Montag kamen die ersten Russen ins Dorf . Glücklicherweise war es eine Versorgungskompanie. Der Chef, ein Oberleutnant, erlaubte den Soldaten keine Übergriffe. Er sprach auch etwas deutsch, so war eine Verständigung möglich. Zuerst wurden alle Fremdarbeiter zusammengerufen und ausgefragt, wie sie von den Deutschen behandelt worden waren. Scheinbar war das Ergebnis gut, denn der Oberleutnant verhielt sich sehr korrekt. Er war bei uns eingezogen, aber allein, ohne jeden anderen Soldaten. Der Rest der Kompanie wurde auf verschiedene Bauernhöfe aufgeteilt, deren Bewohner aber alle aus dem Haus mussten. So kam es, dass bei uns bis 50 Personen auf dem Hof waren. Die meisten schliefen auf den Heuböden. Die oberschlesischen Flüchtlinge machten sich wieder auf den Heimweg. Es ist nur die Frage, wie weit sie gekommen sind, bis man ihnen die Pferde und Kühe weggenommen hat. Das Vieh wurde aus den Ställen getrieben und kam auf die große Wiese hinter Krumpholzens Hof. Zu dieser Zeit gab es im Dorf etwa 240 Milchkühe. Jede Familie durfte nur eine Kuh behalten. Die Frauen und Mädchen mussten zum Melken gehen. Die Russen zentrifugierten die Milch und machten Butter daraus. Jeden Tag gingen einige Kühe ein. Sie hatten Maul- und Klauenseuche bekommen, . Als man das Vieh nach einigen Wochen nach Russland trieb, war nicht mehr viel davon übrig. Als Viehtreiber mussten ein paar halbwüchsige Buben mitgehen. Sie kamen bis nach Mährisch-Ostrau. Dort türmten sie und kamen zu Fuß heim. Die Schweine und Hühner hatten inzwischen die Russen verspeist. Die Pferde waren auch abgeholt worden. In der nachfolgenden Zeit Juni bis August ging niemand allein aufs Feld. Die Russen lauerten den Frauen auf und vergewaltigten sie, obwohl es schon verboten war. Russen aus anderen Dörfern kamen und klauten was noch übriggeblieben war. Die Erntezeit kam heran und nun musste die ganze Arbeit mit der einen Kuh, der wir Ziehen gelehrt hatten, getan werden. Später bekamen wir noch ein kleines blindes Pferd dazu, das ein Russe stehen ließ. Trotz aller Widrigkeiten kam die ganze Ernte heim. Aber nur, um sie später an die Tschechen kostenlos abzuliefern. Zwei tschechische Kommissare kamen ins Dorf. Zwei Familien und drei Männer wurden in das Innere der Tschechei geschafft, um dort zu arbeiten. Die ersten Tschechen, die neuen Hausbesitzer, kamen an. Suchten sich aus welcher Hof ihnen am besten gefiel. Die deutschen Besitzer mussten ins Ausgedinge ziehen. Im Januar 1946 hörten wir die ersten Gerüchte über die Vertreibung aller Deutschen. Wir wollten es nicht glauben, und doch wurde es Wahrheit. Da wir ja kein Radio hören konnten waren wir nicht über die weltpolitischen Ereignisse informiert. Und was wir hörten wollten wir nicht glauben. Anfang März 1946 bekamen die ersten Familien die Papiere über die Zwangsausweisung zugestellt. Es waren 50 Personen, die am 31.03.1946 abfuhren. Auch jetzt rechneten wir noch mit einer baldigen Rückkehr. Oft wurden noch Wertsachen versteckt oder vergraben in der Hoffnung, dieselben nach der Rückkehr wiederzufinden. Doch es kam anders. (soweit der Bericht von Fr. Hartel) Auch mein Vater konnte offenbar nicht glauben dass man die Einwohner eines ganzen Landes vertreiben kann. Denn noch 1945, nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, begannen wir unseren 2 Kühen,(Die Russen hatten uns seltsamer Weise 2 gelassen) welche uns die Russen belassen hatten, das Ziehen beizubringen, was auch ganz gut klappte. So wurde die Ernte eingebracht und auch die Herbstsaat getätigt. Auch der fast leere Kuhstall fing an sich langsam wieder zu füllen. Hatten uns doch die Russen nebst den beiden Kühen auch ein paar Kälber belassen. Doch schon im Frühjahr 1946 trat das "Unglaubliche" ein. Auf unserem Hof erschien ein Tscheche, Prahař mit Namen und wir mussten unser seit Langem leerstehendes Austragshaus, das eigentlich nur noch als Brennholzlager diente, beziehen. In einem Raum hatte sich mein älterer Bruder, er war Tischler, eine kleine Hobby-Werkstatt eingerichtet. Das war jetzt unser Schlafzimmer. Ich war eigentlich noch nicht aus der Schule entlassen. Durfte aber, so wie alle anderen deutschen Schüler keine Schule besuchen. Aus Reigersdorf wurden sämtliche Einwohner vertrieben, kein Einziger durfte bleiben. Die letzten welche unser Dorf verließen, waren wahrscheinlich Kluger Josef, Herta Jeckel sen. und Tochter Herta, Sohn Ferdinand und Familie Roßmanith.

Der Abschied fiel uns allerdings nicht allzu schwer. Waren wir doch enteignet und in unseren Häusern waren Tschechen eingezogen. Was wollte auch ein Bauer noch im Dorf dem man das Haus sowie Grund und Boden weggenommen hatte. In anderen Teilen des Sudetenlandes und ganz besonders in den zweisprachigen Gebieten und in der Tschechei selbst kam es in dieser Zeit zu furchtbaren Ausschreitungen gegenüber den Deutschen mit vielen Toten. Die Deutschen waren rechtlos. Jeder Tscheche durfte deutsche Männer, Frauen, aber auch Kinder umbringen so viel er wollte. Er brauchte keine Strafe zu fürchten. Die tschechischen Emigranten, besonders der in London lebende Herr Beneš schürte einen tiefen Hass gegen die Sudetendeutschen. Seine von ihm stammenden sogenannten "Benešdekrete" bildeten die rechtliche Grundlage für ihr makabres Treiben. Wir hatten keine Toten zu beklagen. Lediglich ein 15jähriger Junge, Kalig Josef jun., er wurde von seiner Mutter einen Tag vor Einmarsch der Russen nach Altliebe geschickt, um in der Flachsschwingerei noch ihren Arbeitslohn abzuholen, kehrte nicht mehr zurück. Er wurde weder tot noch lebendig wiedergefunden und ist seither vermisst. Die Vertreibung selbst ging folgendermaßen vonstatten: In Abständen von 14 Tagen bis mehreren Monaten wurde vom hiesigen Kommissar Stolař ein Transport zusammengestellt. Dies waren in der Regel zirka 30 Personen, welche zuerst nach Bärn in das "Lager" gebracht wurden. Pro Person durften wir 70 kg Gepäck mitnehmen. Zusätzlich noch etwas Handgepäck. Nun wurden natürlich sämtliche Sachen durchsucht und Wertgegenstände und Geld, wenn man es fand, einbehalten. Einige Tage später ging es dann zum Bahnhof in die bereitstehenden Viehwaggons. Der Abschied von der Heimat fiel uns nicht allzu schwer, waren wir doch längst aus unseren Wohnungen vertrieben und mussten zum Teil in leerstehenden Austragshäusern oder anderswo hausen. Trotzdem hofften wir immer noch dass die Trennung von Haus und Hof nur von kurzer Dauer sein wird. Als wir in der Abschiedsandacht in der Kirche "in die Welt hinaus ins Leben...."sangen ahnten wir immer noch nicht dass es in dieser unseren Kirche kein Wiedersehen mehr geben wird. Wir Jungen verspürten natürlich auch ein wenig Abenteuerlust.